Garten n.º 11 | Aquarell auf Leinwand | 145 × 145 cm | 2020
Garten n.º 4 | Aquarell auf Leinwand | 49 × 60 cm | 2019
Garten n.º 5 | Aquarell auf Leinwand | 49 × 60 cm | 2019
Ausstellungsansicht Diplom Klasse Kretschmann, Akademie der Bildenden Künste München, 2020
Garten n.º 13 | Aquarell auf Leinwand | 120 × 145 cm | 2020
Garten n.º 6 | Aquarell auf Leinwand | 49 × 60 cm | 2019
Garten n.º 8 | Aquarell auf Leinwand | 120 × 145 cm | 2019
Fotos: Esther Burkhardt
Julia Connert zu Samaya Almas Thier's Garten english
Flirrende Strukturen einer großen Palette von Grüntönen, aber auch Ocker-, Braun- und Grautöne, bis ins Bläuliche, bilden auf rohen, unbehandelten Leinwänden Verdichtungen oder strukturieren, in zart bewegtem Rhythmus, die monochrome Fläche des Malgrundes. Tupfer und Linienformen verweben sich und modellieren pflanzenhafte Erscheinungen. Es entstehen Formen, die mal an grün wuchernde Wasserpflanzen erinnern, mal wie ein Blick in das Dickicht eines üppig wachsenden Regenwaldes erscheinen, mal aber auch fast abstrakte Lineaturen bleiben, die nur noch als Spur von Natur gelesen werden können. In gleicher Wertigkeit wie die Farbstrukturen bilden auch die Leerstellen den Bildraum. Raumillusion und Präsenz der Bildfläche bleiben in einem Vexierspiel, das sich nie ganz auflöst. Der Bildraum changiert zwischen Konkretisierung und Entmaterialisierung, zwischen Bildhaftigkeit und Abstraktion.
Natur erscheint hier als Fragment, als flüchtige Erinnerung, als sinnliche Explosion. Die Malerei wird zur poetischen Liebeserklärung an die Natur. Erinnerungen an eine Kindheit in einer weiten Welt, Begegnungen mit Indien und Südamerika schwingen nach. Der Besuch im botanischen Garten liefert das Bildmaterial, das, mit der Kamera festgehalten, im Atelier zum Ausgangspunkt einer malerischen, collagenhaften Transformation der visuellen Spur der Fotografien wird. Da, wo die Natur zum Bild wird, ist sie bereits in einer großen Ferne, sie ist nur noch als Abbild, als Erinnerung da.
„Alles vergeht mit einer erschreckenden Schnelligkeit“1, schreibt Paul Cézanne 1906 an seinen Sohn. Eine mögliche Motivation für die malerische Auseinandersetzung Cézannes mit der Natur beschreibt der Zeitgenosse und Kunstkritiker Joachim Gasquet in seinen, zum Teil auch fiktionalen, Erinnerungen an die Begegnungen mit dem Künstler: „Die Natur ist immer dieselbe, aber von ihrer sichtbaren Erscheinung bleibt nichts bestehen. Unsere Kunst muss ihr die Erschütterung der Dauer geben, mit den Elementen und der Erscheinung all ihrer Veränderungen“2. Die Kunst wird als Impuls und Gegenmittel gegen das Entschwinden der permanent veränderlichen Natur vorgestellt. Was aber bedeutet diese Überlegung im Angesicht des Verschwindens der Natur als solcher? Die erinnerte Fülle, die Bilder aus dem botanischen Garten: die Natur ist hier, anders als bei Cézanne, der in der Natur selbst malte, bereits in einer großen Distanz zur Künstlerin. Als Erinnerung ist sie mentales Bild, im botanischen Garten die Konstruktion einer gemachten und für den exemplarischen Raum verdichteten Form. Die Bilder werden zu Vexierbildern zwischen der Lust an der Naturerinnerung und dem Schmerz, den ihre Abwesenheit, ihr zusehendes Verschwinden auslöst. In der Idylle steckt zugleich die Katastrophe.
Ein Beitrag zur Suche nach Denkfiguren, die einem neuen Verhältnis von Natur und Menschheit den Weg ebnen könnten, ist Gilles Cléments Bild des „Planetarischen Gartens“. Der Botaniker und Landschaftsarchitekt Clément begreift den Planeten Erde als Garten mit begrenzter Fläche, der mit Verstand bewirtschaftet werden muss. Es geht um ein sensibles und aufmerksames Agieren in und mit der Natur, um ein ausbalanciertes Austauschverhältnis. Die zwingende, sogar überlebenswichtige Notwenigkeit der Balance ist auch für den Entstehungsprozess der hier betrachteten Serie geradezu konstitutiv: der bedachte, wohlüberlegte Auftrag der Aquarellfarbe wird zu einem Vorgang, der nur in einer meditativen Arbeitsweise möglich ist, einer Arbeitsweise, in der die Künstlerin ein Sensorium für den Moment entwickelt, in dem das ästhetische Gefühl der Ausgewogenheit kippt, wenn der Prozess des Malens am Bild fortgesetzt werden würde. Das künstlerische Arbeiten wird zum Training am Balanceakt.
1 Vgl.: Alexander Eiling (Hg.): Aust. Kat. Cézanne: Metamorphosen. Staatliche Kunsthalle Karlsruhe. München: Prestel Verlag 2017, S.316: Paul Cézanne an seinen Sohn Paul, 15.10.1906, zit nach: John Rewald, (Hg.): Paul Cèzanne Briefe. Zürich: Diogenes 1979, S.312.
2 Vgl.: Eiling.: Cézanne Metamorphosen.., S.316: Joachim Gasquet zit. nach: Michael Doran (Hg.): Gespräche mit Cézanne. Zürich: Diogenes 1982, S.136 f..